Die Ungewissheit über die US-Wahl ist laut einer Umfrage unter Strategen von Natixis Investment Managers die größte Risikosorge im zweiten Halbjahr.
Mitten in einem beispiellosen Wahlzyklus werden sich im zweiten Halbjahr 2024 alle Blicke auf die USA richten, da die Marktstrategen in der US-Präsidentschaftswahl das größte Risiko sehen und sich vom US-Markt die besten Renditechancen erwarten.
Einer Ausblick-Umfrage zur Jahresmitte zufolge, die im Zeitraum vom 26. Juni bis zum 9. Juli bei 30 Marktstrategen aus der Familie von Natixis Investment Managers durchgeführt wurde, steht die Unsicherheit im Zusammenhang mit der US-Präsidentschaftswahl unter den Risikosorgen an oberster Stelle. 37 % der Befragten werten sie als hohes Risiko, noch einmal so viele als mittleres Risiko.
Nachdem die Renditen im ersten Halbjahr für den S&P 500® bei 15,3 % und für den NASDAQ1 bei 18,6 % lagen, gehen nur wenige Strategen davon aus, dass die Rally von der Politik aus der Spur gebracht wird. Immerhin zwei Drittel (67 %) sagen voraus, dass der US-Markt in der zweiten Jahreshälfte die höchsten Renditen bieten wird.
Künstliche Intelligenz (KI) zählt zu den Haupttreibern der Wertentwicklung. Strategen aus den USA und Europa rechnen sich für den Sektor Informationstechnologie die stärkste Wertentwicklung aus. Sie prognostizieren sogar, dass sich KI über die Grenzen des Tech-Sektors hinaus auswirken wird. 60 % der Strategen sagen, dass der Einfluss von KI noch vor Jahresende auf den Märkten allgegenwärtig sein dürfte.
Die Stimmung ist auffallend gering von der Sorge vor einer globalen Rezession geprägt. Diese erachten 73 % der Befragten als kein (10 %) oder geringes (63 %) Risiko. Gegenüber dem Vorjahr mit einem Durchschnitt von kombinierten 50 % ist das allerdings ein Anstieg. Angesichts nachlassender Inflation und leichten Zuwächsen beim realen Wachstum in den meisten Regionen ist das Szenario einer weichen Landung wahrscheinlicher. Zwei Drittel (67 %) der Befragten sagen, es werde in den nächsten 18 Monaten keine Rezession geben.
Auf den ersten Blick messen die Strategen dem politischen Einfluss auf die Märkte offenbar mehr Gewicht bei als wirtschaftspolitischen Strategien. In Wirklichkeit ist die Politik ein Sprungbrett für Faktoren, die einen Ausblick aufs zweite Halbjahr infrage stellen könnten, der sich durch eine positive gesamtwirtschaftliche Prognose und eindeutige Hochrechnungen für Märkte und Anlageklassen auszeichnet.
- Politik: Die US-Wahl mag auf ihrer Sorgenliste zwar ganz oben stehen, doch da Russlands Krieg gegen die Ukraine mittlerweile weit über zwei Jahre andauert und sich Israels Einsatz in Gaza in Kürze zum ersten Mal jährt, befürchten 80 % der Strategen, die Geopolitik könnte in der zweiten Jahreshälfte ebenfalls Gegenwind auf die Märkte ausüben.
- Geldpolitische Strategie: Die Inflationsangst mag anhalten, wird jedoch nur von 17 % als hohes Risiko betrachtet, von 47 % dagegen als mittleres Risiko. Mehr Sorgen bereitet den Strategen, wie sich die Zentralbanken bei den zur Dämpfung der Inflation eingeführten Zinserhöhungen einbremsen werden. Über drei Viertel (77 %) der Befragten meinen, ein Szenario mit noch für längere Zeit höheren Zinsen mache ihnen mehr Angst als potenzielle ZInssenkungen.
- Wertentwicklung: Mit Blick auf Aktien nehmen die Strategen an, dass die US-Märkte andere Märkte hinter sich lassen dürften, dass Growth besser abschneidet als Value und Large Caps besser als Small Caps. Im festverzinslichen Segment ist Qualität das Schlagwort, denn die Strategen sprechen sich eher für Staatsanleihen und Unternehmensanleihen mit Investment Grade aus als für riskantere Hochzins- oder Schwellenländeranleihen. Dass Edelmetalle und Absolute-Return-Strategien unter den alternativen Investments an erster Stelle genannt werden, spricht für das Bedürfnis, die Risiken zu streuen.
Die Politik mag das vordringliche Thema sein, doch die Strategen sehen darin nur die oberste Ebene einer komplexen Investment-Blaupause, die Anlegern positive Ergebnisse bringen könnte, wenn sie richtig ausgeführt wird.
Politik ist grundsätzlich lokal ... und global
Unter den Risiken, mit denen die Anleger im zweiten Halbjahr 2024 konfrontiert sind, beschäftigen sich die Strategen in erster Linie mit der Politik. Unter all ihren Sorgen bezeichnen die Strategen die bevorstehende Präsidentschaftswahl in den USA als mittleres (37 %) oder hohes Risiko (37 %).
Strategen aus den USA und Europa sind sich zwar einig, dass die US-Wahl in der zweiten Jahreshälfte das größte Risiko darstellt, können aber nicht mit gleicher Sicherheit sagen, was das für die Märkte bedeutet. Schon bevor Präsident Biden aus dem Rennen ausstieg, hatten 47 % Bedenken, die Wahl könne Gegenwind erzeugen. 23 % rechneten potenziell mit Rückenwind. Weitere 30 % meinen, die Wahl sei für die Märkte eher ein Störgeräusch als ein Signal, wobei das Rauschen durch Bidens Niederlegung der Kandidatur eher noch stärker werden dürfte. Auf die Frage nach der voraussichtlichen Situation am Jahresende äußerten 60 % der Befragten, die US-Wahl dürfte die Märkte eher belasten als stützen.
Wahlen spielen für die Märkte eine Rolle
Marktbeobachter behaupten zwar gern, Wahlen hätten keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Märkte, doch 77 % der Befragten sehen das anders. Ein Grund zur Sorge könnten potenzielle Unruhen sein, falls das Wahlergebnis nicht eindeutig ausfällt, denn nur 53 % gehen davon aus, dass die Wahl am Wahltag entschieden wird.
Die Inflation, die sich erstmals seit Jahrzehnten in einem Wahljahr als Problem zurückgemeldet hat, ist ein besonders angstbesetztes Thema für die Strategen. In diesem Zusammenhang befürchten rund 47 % eine „Politisierung“ der Fed bei Entscheidungen über Zinssenkungen.
Geopolitik als ebenso großes Risiko wie die Verbraucherausgaben
Die US-Wahl stellt zwar vor Herausforderungen, doch Widerstand für die Märkte erwarten die Strategien eher von der Geopolitik. Der Krieg in der Ukraine, der Konflikt zwischen Gaza und Israel und die Beziehungen zwischen den USA und China fließen allesamt in die Sorgen der Investmentprofis ein. 80% der Befragten befürchten, die Geopolitik könnte sich für Anleger im zweiten Halbjahr als Gegenwind erweisen. 47 % glauben sogar, dass die Marktrally mit gleicher Wahrscheinlichkeit durch geopolitische Konflikte beendet werden könnte wie durch den Konsum – die beiden Faktoren, die sie am aufmerksamsten verfolgen. Dennoch ist die geopolitische Stimmung nicht nur negativ. Die Mehrheit ist davon überzeugt, dass der Dialog zwischen den USA und China fortgeführt (73 %) und nicht abgebrochen (27 %) wird.
Werden strategische Entscheidungen dafür sorgen, dass für die Anleger das Ergebnis stimmt?
Die Politik stellt die Strategen womöglich vor verschiedene wichtige Fragen, wenn diese die Aussichten bis zum Jahresende bedenken, doch langfristig haben wirtschafts- und fiskalpolitische Strategien noch stärkeren Einfluss auf ihre Marktperspektive. Mit Blick auf die nächsten sechs Monate überlegen sich die Strategen, wie sich diese auf vier zentrale makroökonomische Faktoren auswirken werden: Inflation, Zinsen, Staatsverschuldung und Wirtschaftswachstum.
Die Inflation lässt nach, gibt aber weiter Anlass zur Sorge
Die Inflation hat sich über die vergangenen zwei Jahre nach und nach verringert, doch die Natixis-Strategen sind nach wie vor besorgt. In der Eurozone ist die Inflation von ihrem 2022 erreichten Höchstwert bei 10,6 % auf 2,6 % im Mai und 2,5 % im Juni zurückgegangen. In den USA stand die Kernrate des CPE, des bevorzugten Fed-Maßstabs, im Jahresvergleich auf 2,6 % für Mai und war damit so geringfügig gestiegen wie zuletzt im März 2022.1 Trotz dieser positiven Signale sehen die Strategen in der Inflation nach wie vor ein Risiko für Anleger.
Insgesamt betrachten 47 % der Befragten die Inflation als mittleres Risiko für das zweite Halbjahr, 17 % stufen sie als hohes Risiko ein. Da die Märkte im Aufwind sind, befürchten 40 %, eine überraschende Inflationsentwicklung könnte der Rally ein Ende setzen. Letztlich beruhigt sich die Inflation zwar womöglich, doch das kann dauern, und nur 7 % der Befragten meinen, dass die Fed ihr zwei Prozentziel noch in diesem Jahr erreichen kann.
Die Verbraucher könnten daher auch in der zweiten Jahreshälfte noch unter höheren Preisen leiden, wobei das für manche ein größeres Problem darstellt als für andere. Insgesamt belegt die Stimmung, dass die Strategen ungleichmäßige Auswirkungen der Inflation wahrnehmen: 37 % denken, die Generation Z (Jahrgänge 1997 bis 2012) habe stärker unter den höheren Preisen gelitten als andere. Weitere 17 % glauben, die Belastung sei für die Millennials am größten gewesen. Nur 23 % sind der Überzeugung, alle hätten die Auswirkungen in gleichem Maße zu spüren bekommen. Ein Beispiel dafür, inwiefern die Gen Z stärker von der Inflation betroffen war, sind die rasant gestiegenen Preise auf den Immobilienmärkten weltweit, die die Mieten für viele heute 20- bis 30-Jährige in unerschwingliche Höhe getrieben haben.
Seltsamerweise handelt es sich bei der Generation X offenbar wieder einmal um eine vernachlässigte demografische Kohorte, denn nicht ein einziger Befragter war der Meinung, dass diese Gruppe, die gleichzeitig noch heranwachsende Kinder unterstützen und Pflegekosten für betagte Eltern schultern muss, am stärksten betroffen war.
Welche Altersgruppe leidet am meisten unter der Inflation?